Unklar ist, warum gerade in diesem sensiblen Bereich gekürzt werden soll. Zumal die „Notwendigkeit zu Sparen“ in der langfristigen Perspektive als ein möglicher Grund nicht hinreichend ist: Negative gesellschaftliche Entwicklungstendenzen und volkswirtschaftliche Folgekosten sind bereits jetzt absehbar.
Die geplanten Kürzungen der Richtlinienförderung belaufen sich auf knapp 3,6 Millionen Euro, die Kürzungen der Kooperationen mit Familienzentren sogar auf gut 3,9 Millionen Euro.
Geld, das für die Bildungsarbeit für und mit Familien in belasteten Lebenssituationen fehlt. Geld, das bisher mit großem Erfolg in die frühkindliche und familienbezogene Bildungsarbeit in den Sozialraum hinein und für niederschwellige Angebote genutzt wurde.
„Die Familie ist die Heimat des Herzens.“ (Giuseppe Mazzini) oder mit anderen Worten: „Familie ist eine besondere generationenübergreifende Gemeinschaft, in deren Zentrum eine emotionale, persönliche und verlässliche Bindung steht.“ (Jurczyk, Karin: Doing Family - Familie im Wandel. 06.09.2024. 12.45 h). Familie steht gemäß Artikel 6 Abs. 1 GG unter einem besonderen Schutz. Traditionelle Familienstrukturen verlieren zunehmend an normativer Kraft, was sich in einer Diversifizierung der Familienformen widerspiegelt. Gleichzeitig bleibt die Familie als Institution ein unverzichtbarer Anker für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Besonders verletzliche Familien benötigen Unterstützung, um ihre vielfältigen Aufgaben zu bewältigen und stabile Lebensverhältnisse zu sichern. Kinder sollten in ihrer Vielfalt, egal ob ehelich oder nichtehelich, die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung haben (6 Abs. 5 GG). Gemäß § 16, Abs. 2 SGB VIII des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sollten allen Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden.
In NRW stehen die aktuellen Kürzungsvorhaben des Familienministeriums gerade diametral zur Erfüllung dieses Anspruches in der Familienbildung: Die Zielgruppen und deren Bedürfnisse sind vielfältig und reichen von jungen Familien über Alleinerziehende bis hin zu Familien mit Migrationshintergrund oder in sozialen Brennpunkten. Diese Familien sind oft mit spezifischen Herausforderungen konfrontiert, wie etwa niedrigem Einkommen, unsicheren Wohnverhältnissen oder der Notwendigkeit, Erziehungskompetenzen zu entwickeln. Gerade da setzen die niedrigschwelligen Angebote der Familienbildung an.
Die Konsequenzen von Kürzungen „freiwilliger Leistungen“ sind für die betroffenen Zielgruppen weitreichend. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf die Familien in belasteten Lebenssituationen aufgrund ihrer Fluchterfahrungen eingegangen:
Die Familienbildung ist für viele Kommunen und Städte eine anerkannter und kompetenter Partnerin in der Netzwerkarbeit, um gemeinsam bildungsferne und von Armut betroffene Familien mit ihren dank der Richtlinien- und Kooperationsförderung kostenlosen Angeboten zu erreichen.
Insbesondere die seit 2024 neue Vorgabe der Richtlinie über die Förderung anerkannter Einrichtungen der Familienbildung in NRW (vom 23.11.2023) setzt unter Artikel 3 (Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zu Maßnahmen für Familien in besonderen familiären Belastungssituationen, insbesondere für Familien mit Fluchterfahrungen) eine Abstimmung mit der örtlichen Jugendhilfeplanung voraus. Dies hat dazu geführt, dass sich die Zusammenarbeit mit den örtlichen Trägern und den Jugendämtern noch einmal, stets im Interesse der zu erreichenden Zielgruppen, verstärkt und konkretisiert hat. Gerade in dem Themenfeld Integration/Migration und Flucht bringt die Familienbildung ihre Kompetenzen und Möglichkeiten ein und gibt den Familien Orte der Begegnung (und Bildung).
Wenn diese in den Sozialraum und in Abstimmung mit den örtlichen Partner*innen konzipierten und durchgeführten Angebote, meist offene Angebote an den Orten, an denen die Zielgruppen leben und zu erreichen sind, nun wegfallen, gefährdet dies ein gut funktionierendes Integrationssystem vor Ort. Partner*innen der Familienbildung vor Ort sind in diesem Fall oftmals Grundschulen, Sportvereine, Sozial- und Migrationsberatungen und auch andere Träger der Jugendhilfe, die das Feld der familienbezogenen (Weiter)Bildung nicht abdecken können, weder finanziell noch personell. So sind diese Angebote unter anderem auch eine gute Ergänzung der Zusammenarbeit mit Familiengrundschulzentren.
Gerade im Bereich Integration greifen hier die Systeme gut ineinander und mit der geplanten Kürzung der Richtlinienförderung Art.3 auf 0€ werden diese „Bildungsketten“ brechen.
Über die vielfältigen Angebotsformate, die alle auf einen offenen, barrierearmen Zugang setzen, werden Familien erreicht, die von sich aus keine Bildungsorte aufsuchen bzw. Hemmungen haben, sich selbst auf den Weg zu diesen zu machen. Deshalb wurde es von der Familienbildung unterstützt, dass in diesem Angebotsbereich keine Teilnahmegebühren zu erheben sind. Dank der freiwilligen Leistungen des MKJFGFI war dies in diesem Bereich auch nicht notwendig, um die entstehenden Kosten zu decken.
Beispielhaft sei an dieser Stelle erwähnt, dass allein im Jahr 2023 über die Zusatzförderung (zur Durchführung von gebührenfreien Angeboten für Familien mit Fluchterfahrungen) in der Ev. Familienbildung in Westfalen und Lippe im Bereich Eltern-Kind Angebote für Familien mit Fluchterfahrungen 2253 Familien erreicht werden konnten.
Für die Zielgruppe „Familie“ insgesamt in all ihrer diversen Konstellation und Ausprägung gilt es, die soziale Kohäsion zu stärken und die demokratische Teilhabe zu ermöglichen: Finanzielle Kürzungen grenzen Familien aus. Angebote der Familienbildung sind essenziell, um die Resilienz und das Wohlbefinden von Familien zu fördern, insbesondere in Zeiten wachsender sozialer und wirtschaftlicher Herausforderungen. Demokratische Werte wie Gleichberechtigung, Partizipation und soziale Gerechtigkeit gilt es auszubauen: Familien, die durch niederschwellige Bildungsangebote Unterstützung finden, sind besser in der Lage, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen.
Die Kürzung der Mittel schwächen langfristig die Beteiligung von Bürger*innen an demokratischen Prozessen, insbesondere in sozial benachteiligten Gruppen. Daher kommt der Familienbildung im Rahmen der Demokratieförderung eine entscheidende Schlüsselrolle zu. Mittelstreichungen widersprechen einem gesellschaftlich verantwortungsvollen Denken und Handeln in der Familienpolitik.
Die Kürzungen fördern vielmehr Populismus: Keine Teilhabe – fehlende Impulse in den Sozialraum durch Dritte (wie Familienbildung) – soziale Spaltung – größere Einflussnahme durch populistische Meinungen, die nicht mehr ausreichend reflektiert werden können, da Räume familienpolitischer Begegnung keinen Zugang ermöglichen, respektive fehlen. Mit dem Wegfall dieser Förderungen droht eine Selektion und die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen wird erschwert. Dies gefährdet nicht nur den sozialen Frieden, sondern bietet auch Nährboden für populistische Strömungen, die von der sozialen Isolation dieser Gruppen profitieren könnten.
Neben den Folgen für einzelne Familien sind die Implikationen der Mittelkürzungen für unsere Gesellschaft weitreichend: Für Einrichtungen der Familienbildung bedeuten die geplanten Kürzungen eine drastische Reduzierung ihrer Handlungsspielräume. Ohne ausreichende Mittel wird es schwieriger, qualitativ hochwertige und zugängliche Angebote aufrechtzuerhalten. Dies könnte mittelfristig zu einem Wegfall von Bildungsangeboten führen. Die „Infrastruktur“ für Angebote in der Familienbildung geht somit verloren. Die volkswirtschaftlichen Langzeitfolgen spiegeln sich in der Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Stabilität von Familien wider, die letztlich höhere Belastungen im sozialen Sicherungssystem verursachen.
Es zeigt sich, dass die Konsequenzen der Mittelkürzungen im Bereich der Familienbildung für unsere Gesellschaft gravierend sein können. Seitens des Familienministeriums in NRW ist es daher unerlässlich, noch einmal systematisch über mögliche Implikationen von Sparmaßnahmen nachzudenken und bestenfalls den Zugang zu Bildungsangeboten für alle Familien zu wahren. Dies könnte nicht nur dazu beitragen, Familien teilhaben zu lassen, sondern auch die gesellschaftliche Integration zu stärken und ein solidarisches Miteinander nachhaltig zu fördern.